Bizarre Rückrunde: VfB-Saison hängt am seidenen Faden

Im Januar steht der VfB Stuttgart noch auf Platz vier der Bundesliga, dann beginnt plötzlich der Absturz. Nach sechs Heimniederlagen in Folge ist die Euro-Quali über die Liga quasi außer Reichweite. Die Fragezeichen in Bad Cannstatt werden größer. Der ganze Druck lastet nun auf einem Spiel. Eine gefährliche Situation.
In Stuttgart-Bad Cannstatt fühlen sie sich gerade ein bisschen an einen Hollywood-Film erinnert. "Und täglich grüßt das Murmeltier". Beziehungsweise im Fall des VfB: Wöchentlich grüßt die späte Niederlage.
Nach der jüngsten Heimpleite (0:1 gegen den Abstiegskandidaten 1. FC Heidenheim) fehlten dann auch den Profis um Nick Woltemade und Trainer Sebastian Hoeneß fast die Worte.
Ihre Blicke sagten fast schon alles: Frust.
Der Knoten ist aktuell sehr hartnäckig. Die "Festung" Neckarstadion ist in den ersten Monaten des Jahres 2025 komplett eingefallen. Während in der Vorsaison das Team von Hoeneß nur ein einziges Heimspiel verlor, folgte nun eine historische Negativserie. Sechs Heimspielniederlagen in Serie gab es in Stuttgart noch nie.
VfB Stuttgart: Massiver Spannungsabfall in Schwabenland
Der Vizemeister rauscht seit Januar in der Tabelle ab, ist nur noch 11. Besonders bedenklich: In der Rückrundentabelle steht das Team auf Rang 14, noch hinter Aufsteiger St. Pauli und Hoffenheim.
Mit dem Wort Ergebniskrise ist der Zustand noch relativ höflich umschrieben.
Besonders kurios ist der Umstand, dass die Mannschaft seit Wochen in den letzten Minuten k.o. geht. Kein Team in der Bundesliga hat zudem mehr Führungen verspielt als der VfB. Ein Blick auf die Zeitpunkte der Gegentore aus den vergangenen Liga-Heimspielen offenbar das große VfB-Problem: späte Gegentreffer.
Gegner | Minute des Gegentores |
---|---|
Heidenheim | 89. |
Bremen | 90.+2 |
Leverkusen | 90.+4 |
Bayern | 90. (das 1:2 fiel in der 64. Minute) |
Hoffenheim | 74. |
Wolfsburg | 87. |
Gladbach | 82. |
Was also ist da los in Stuttgart?
Wie so oft in einer Krise sind die Gründe vielschichtig. Es gibt nicht denen ein, vielmehr saugt ein Mix aus Gründen die Schwaben gerade nach unten in den Negativstrudel.
Zunächst einmal ist es auf den ersten Blick nicht verwunderlich, dass die Punkteausbeute der Stuttgarter deutlich nach unten geht. Gewissermaßen nähert sich der Klub wieder dem "Normal" an. 2023/24 war eine absolute Freaksaison für den VfB. Der Klub feierte einen Rekord an Siegen und Punkten. Heißt: Selbst bei allen drei Bundesliga-Meisterschaften kam der VfB auf weniger Punkte als die 73 im Vorjahr. Und: In einem "normalen" Jahr (also ohne die "Außerirdischen" aus Leverkusen) hätte Stuttgart mit dieser Punktezahl gute Chancen auf den Meistertitel gehabt.
Durch die starke Saison musste der VfB drei schwerwiegende Abgänge hinnehmen, die je länger die Saison läuft, umso sichtbarer werden. Man tut Ermedin Demirovic kein Unrecht, wenn man sagt: Einen Serhou Guirassy kann er nicht eins zu eins ersetzen.
Zwar verzeichnete der Vizemeister einige prominente Zugänge. Auf Strecke einer ganzen Saison aber reichen diese Stand jetzt nicht, um die Breite des Kaders so zu verstärken, dass man oben mithalten kann. Dass die Talententwicklung in Stuttgart unter Hoeneß ein Selbstläufer ist, widerlegen die Beispiele Frans Krätzig, Fabian Rieder und Yannik Keitel eindrucksvoll.
Auch die Defensivachse um Kapitän Waldemar Anton und Innenverteidiger-Kollege Hiroki Ito brach auseinander. Bis heute knabbert der VfB an massiven Defensivproblemen.
Die Abwehr des VfB wackelt immer wieder, fast in jedem Spiel. Unabhängig von den einzelnen Spielern. Jeff Chabot ist zum Beispiel ein überdurchschnittlicher Bundesliga-Verteidiger, die Probleme der Stuttgarter beginnen aber oft schon weiter vorne. Als Team und im Verbund verteidigt der Klub oft nicht gut genug. Fehler und Ungenauigkeiten führten häufig zu Gegentoren wie am Freitag beispielsweise von Jacob Bruun Larsen, der den Ball im eigenen Drittel mit der Hacke klären wollte. Und teilweise verteidigte der VfB Standards wohl schlechter als so mancher Landesligist, lädt Gegner dadurch zum Toreschießen geradezu ein.
Hinzu kommt: Hoeneß musste die Abwehrreihe oft umschmeißen, so konnte sich kaum eine gefestigte Defensivstruktur bilden. Inzwischen spielt der erst 18-jährige Finn Jeltsch, der im Winter aus Nürnberg kam, meist neben Chabot. Dieser zeigt, warum er das nächste große Ding in Cannstatt werden kann, macht aber eben auch, was ein 18-Jähriger manchmal und verständlicherweise macht: Fehler.
Die Gesichter der VfB-Krise
Deutlich gravierender sind aber die Formschwankungen und tiefen Leistungslöcher der wichtigsten VfB-Gesichter aus der Vorsaison.
Bis auf Angelo Stiller und Maximilian Mittelstädt hat keiner der Leistungsträger die Form aus 2023/24 erreicht.
Chris Führich, Josha Vagnoman, ein Alexander Nübel, aber auch Jamie Leweling und Deniz Undav konnten in vielen Phasen nicht an ihre Leistungen des vergangenen Jahres oder der Hinrunde anknüpfen. Und das Problem dahinter: nicht wirklich von der Bank ersetzt werden.
Wenn dann noch ein Ermedin Demirovic mehrere "hundertprozentige" Chancen wie gegen Union und Heidenheim nicht macht, dann wird es schwierig, auch gegen Teams aus den unteren Tabellenregionen zu gewinnen. Denn es ist ja so: Wer ständig ein, zwei, drei Gegentore bekommt, muss dann selbst einige schießen, um zu punkten. In Berlin reichten nicht einmal vier eigene Tore zu einem Sieg (4:4).
So hat sich eben das entwickelt, was im Fußball manchmal passiert. Das Momentum ist weg, stattdessen ist das Team in einem Negativlauf gefangen, in dem der späte K.o. fast zur selbsterfüllenden Prophezeiung wird. Es ist ein bisschen das Gegenteil der vergangenen Saison. Oder auch auf gut Deutsch: Haste Scheiße am Fuß, haste Scheiße am Fuß.
Nach dem Aus in der Champions League geht fast nichts mehr
Kurioserweise begann der deutliche Knick in der Formkurve nicht während der Dreifachbelastung mit Liga, Pokal und Champions League, sondern direkt danach. Rückblickend wirkt es ein bisschen so, als habe die bittere Heimklatsche gegen PSG (1:4) und das verbundene CL-Aus dem VfB komplett den Stecker gezogen. Ein Post-Königsklassen-Blues.
Fakt ist: Der VfB steht in der Liga eben da, wo er aktuell mit den Leistungen hingehört. Auch wenn er fußballerisch oft gut mithält oder sogar das Spiel macht. In der Liga ist für den VfB augenscheinlich die Luft raus. Die Spannung ist massiv verloren gegangen.
Wer immer gegen Ende der Partie einen Treffer fängt, der kann diesen Umstand nicht mit Schicksal oder Pech erklären. Die späten Tore legen zumindest den Verdacht nahe, dass einigen Spielern die nötige mentale und/oder körperliche Frische fehlt. Das dürfte auch Arminia Bielefeld auf dem Zettel haben, die im Pokalfinale auf Fehler der Schwaben lauern werden.
Die VfB-Saison hängt nun am seidenen Faden. Denn noch ist die Stimmung rund um den Klub nicht umgeschlagen. Der Trainer wird nicht angezählt. Der sprichwörtliche Baum brennt nicht. Nach der sechsten Pleite gegen Heidenheim gab es ein paar Pfiffe und einen kurzen Austausch mit den Ultras am Zaun. Dann aber sofort: Anfeuerungen. Die Fans stehen noch hinter der Mannschaft, das wurde am Freitagabend klar.
Dafür haben das Trainerteam um Hoeneß und die Spieler noch zu viel Kredit aus dem Vorjahr aufgebaut.
Alles liegt jetzt an einem Spiel in Berlin
Aber: Ob die Saison eine gute war, liegt nun an einem Spiel. Im Pokalfinale Ende Mai kann der VfB den ersten Titel seit 2007 möglich machen. Die Fans fiebern daraufhin hin. Davon zehren sie gerade in Stuttgart trotz des Nackenschläge.
Dadurch ist sogar der Sprung in die Europa League möglich, obwohl man dies in der Liga mehr oder weniger fahrlässig verspielt hat. "Wir haben Glück, dass wir noch das Pokalfinale haben", fasste es Nick Woltemade passend zusammen.
Trotz der Achterbahnfahrt kann die Saison mit einem gigantischen Jubel und Party in Berlin enden.
Oder eben mit dem großen Knall und der Ernüchterung. Denn bei einer Final-Niederlage wäre die Saison auf einen Schlag keine gute mehr. Die Diskussionen und Forderungen würden erheblich lauter. Das "Bruddeln" (Schwäbisch für Meckern) würde wohl Überhand nehmen.
Klar, der VfB (immerhin zwei Abstiege in den vergangenen zehn Jahren) war in dieser Saison nie in Abstiegsgefahr, aber mit den Investitionen, Rekordeinkäufen, dem Umfeld (Stichwort Weltmarkenbündnis) und CL-Millionen ist der VfB in dieser Rückrunde definitiv weit unter den Möglichkeiten geblieben. Es gibt für Sportvorstand Fabian Wohlgemuth und Trainer Hoeneß viel aufzuarbeiten. Zudem wäre man im Falle einer Niederlage gegen Bielefeld das erste Team, das gegen einen Drittligisten im DFB-Pokalfinale verlöre. Für den Spott wäre gesorgt.
Der 24. Mai wird für den VfB ein entscheidender Tag – so oder so.