Kimmich warnt vor Politik-Überfrachtung im Fußball
DFB-Kapitän Joshua Kimmich hat anlässlich der Diskussionen um die erwartete Vergabe der WM 2034 an Saudi-Arabien davor gewarnt, den Fußball abermals politisch zu überfrachten.
Gerade er als Spielführer "möchte für etwas stehen und für Werte wie die Menschenrechte einstehen, die nicht verhandelbar sind", sagte der 29-Jährige am Mittwoch im Lager der DFB-Auswahl in Frankfurt, "aber dafür haben wir Experten - und ich bin politisch kein Experte".
Aufgrund seiner negativen Erfahrungen mit und bei der WM 2022 in Katar wünsche er seinen Nachfolgern, "dass sich die Jungs in zehn Jahren auf das Sportliche konzentrieren können. Die Spieler beeinflussen die Vergabe nicht", ergänzte Kimmich und betonte: "Unsere Pflicht ist es, das Beste zu geben, wenn uns der Nationaltrainer nominiert. Wir werden am Sportlichen gemessen."
DFB-Kapitän Kimmich lobt Katar
Katar habe in Sachen Infrastruktur und Organisation ein "Top-Turnier" veranstaltet, berichtete Kimmich, "aber wir konnten es nicht genießen" - weil die Endrunde von politischen Themen überlagert worden und es überdies sportlich schlecht gelaufen sei. "Da haben wir kein sehr gutes Bild abgegeben - als Mannschaft, Verband und Deutschland, da wurde uns Spielern die Freude auf das Turnier genommen."
Überhaupt neige Deutschland und der Westen dazu, seine Ansichten für "universell" zu halten, aber: "Wir haben im eigenen Land eigene Baustellen. Manchmal wäre es ganz gut, sich darauf zu konzentrieren, da haben wir nicht immer alles richtig gemacht."
"Generell glaube ich schon, dass wir Spieler für gewisse Dinge und Werte einstehen sollten, gerade als Kapitän", sagte der Bayern-Profi vor den abschließenden Nations-League-Spielen am Samstag (20.45 Uhr/RTL) in Freiburg gegen Bosnien-Herzegowina und drei Tage später in Budapest gegen Ungarn (20.45 Uhr).
Mit der Erfahrung der auch in gesellschaftspolitischen Fragen desolaten WM 2022 in Katar betont er aber auch: Für die Weltpolitik, da gibt es deutlich besser geeignete Fachleute.
Deutschland könnte 2025 wieder einen Titel gewinnen
Kimmich führt die seit einem Jahr stark veränderte DFB-Auswahl als Nachfolger von Gündogan seit September als Kapitän an. Aktuell berichtet der 29-Jährige von einem starken Zusammenhalt, einer guten Stimmung. Mit der Erfahrung von 95 Länderspielen weiß er aber auch genau, woran das in erster Linie liegt: "Natürlich steht und fällt der Teamspirit immer mit den Siegen. (...) Wenn man fünf, sechs Spiele in Folge verliert, wird es wieder schwieriger, das jeder Lust aufeinander hat."
Mit den Erfolgen der vergangenen Wochen - am Samstag in Freiburg kann der Gruppensieg perfekt gemacht werden - hat sich Kimmich mit der Mannschaft praktisch selbst einen guten Start in die staatstragende Rolle des Kapitäns ermöglicht. Noch vor einem Jahr, als die November-Partien gegen die Türkei (2:3) und in Österreich (0:2) unter Bundestrainer Julian Nagelsmann dramatisch schiefgegangen waren, habe es sich wie "ein absoluter Tiefpunkt" angefühlt, berichtete Kimmich.
Zwölf Monate und eine gute, wenn auch nicht perfekte Heim-EM später geht es für die DFB-Auswahl wieder um einen Titel, darum, mit Fußball zu begeistern. "Natürlich" sei es das "große Ziel", das Finalturnier der Nationenliga im Sommer 2025 zu erreichen, sagte Kimmich, der dann seinen 100. Einsatz in einer Partie mit Titelbedeutung feiern könnte.
Neue Hierarchie in der DFB-Auswahl
Innerhalb der Mannschaft, die am Dienstagabend ein harmonisches Abendessen erlebte, musste in den vergangenen Monaten nach dem EM-Aus im Sommer eine neue Hierarchie gefunden werden. Nicht nur, weil Gündogan seine DFB-Karriere beendete. Auch die Wortführer Manuel Neuer (38), Thomas Müller (35) und Toni Kroos (34) gingen, und mit ihnen das Selbstverständnis der Weltmeister-Generation, die 2014 in Brasilien den Titel gefeiert hatte.
Von den einst hochgelobten Nachfolgern des Jahrgangs 1995/96 sind nicht mehr viele übrig, die wirklich Verantwortung übernommen haben, eigentlich sind es nur noch Kimmich und mit einigen Abstrichen Serge Gnabry. Leroy Sané muss sich ständig neu beweisen. Julian Brandt bekam erstmals seit längerer Pause wieder eine Einladung, im Gegensatz zu Leon Goretzka und dem verletzten Niklas Süle.
"Es ist wichtig, dass ein Konstrukt entsteht, das auch wachsen kann", sagte Kimmich. Für keinen Profi sei von Nagelsmann "die Tür zugemacht" worden. Dass der Bundestrainer vorgegeben hatte, den Kader möglichst wenig zu verändern, habe aber geholfen. Genauso wie die Siege. "Für uns ist wichtig, die Spiele zu gewinnen und durch so wenig Täler wie möglich zu gehen", sagte Kimmich, das helfe auch bei der Identifikation der Fans mit dem Team. Und wahrscheinlich auch dabei, als Kapitän schwierige Fragen zu beantworten.