23.09.2024 07:07 Uhr

VfB Stuttgart zeigt dem BVB gnadenlos die Grenzen auf

Deniz Undav vom VfB Stuttgart traf gegen den BVB doppelt
Deniz Undav vom VfB Stuttgart traf gegen den BVB doppelt

Borussia Dortmund hat sich gegen den VfB Stuttgart viel vorgenommen und wird dann vor einer aufgeheizten Kulisse mustergültig filetiert. Wie schon in der Vorsaison führt der Vizemeister den BVB teilweise vor. Rückkehrer Serhou Guirassy trifft zwar gegen seinen Ex-Klub, findet aber sein Kryptonit. Droht ein Rückfall in alte Zeiten?

K.o.-Duell im Fußballstadion. Der mit Spannung erwartete Schwergewichts-Clash an diesem Wochenende stieg eigentlich schon am Samstagabend im Wembley-Stadion, fand dann aber in ähnlicher Weise am Tag darauf in der Bundesliga seine Analogie.

Denn ähnlich überraschend wie der britische Profiboxer Daniel Dubois seinen favorisierten Landsmann Anthony Joshua schon in der ersten Runde mit einem heftigen Treffer zwischen die Seile und zum ersten Mal auf den Boden schickte, legte auch der VfB Stuttgart das bisher ungeschlagene Borussia Dortmund nach wenigen Minuten auf die Matte – ließ anschließend einfach nicht locker.

Deniz Undav machte dort weiter, wo er zuletzt im National- und VfB-Trikot aufgehört hatte. Er erzielte mit der ersten Chance (4. Minute) den Brustlöser für das Team mit dem Brustring und legte den Grundstein für weitere Wirkungstreffer des VfB. Es war der erste Rückstand für den BVB in dieser Saison. Er sollte sich von diesem nicht mehr erholen.

Das Team von Sebastian Hoeneß bearbeitete die Defensive der Dortmunder beharrlich weiter, mit Gegenpressing, mit Kombinationsspiel – und mal wieder über die zuletzt schwächelnde linke Seite. Dort zeigte vor allem Maximilian Mittelstädt nach zuletzt absteigender Form einen überragenden Auftritt. Er bereite sowohl den Führungstreffer von DFB-Kollege Undav als auch das zweite VfB-Tor von Guirassy-Ersatz Ermedin Demirovic (21.) vor. Der Bosnier nickte eine Mittelstädt-Flanke cool ins Eck ein – keine Chance für BVB-Keeper Gregor Kobel.

BVB taumelt wie in der Vorsaison

Und der BVB? Taumelte heftig über den Rasen wie am Abend zuvor "AJ" durch den Ring. Die Hausherren hatten mehrfach das dritte Tor auf dem Fuß, das in der ersten Halbzeit aber noch nicht fiel. Allein Dortmunds Superjoker Jamie Gittens tauchte in der Nachspielzeit nahezu frei vor Alexander Nübel auf, scheiterte aber an der Stuttgarter Nummer eins. 28-Tore-Mann Guirassy war unterdessen von Jeff Chabot so gut wie abgemeldet. Der Stuttgarter "Türsteher" ließ den BVB-Zugang kaum zur Entfaltung kommen. Er war schon in der Vorsaison so etwas wie das Kryptonit für Guirassy, als der Stürmer gegen Chabots Ex-Team 1. FC Köln nur wenig Land sah.

Der offensive Auftritt befeuerte das Stuttgarter Publikum. Die Stimmung war ohnehin schon aufgeladen-laut, vor allem wegen der Rückkehr von Waldemar Anton. Der Wechsel des ehemaligen Kapitäns zum BVB sorgte bei den VfB-Anhängern im Sommer für Unmut – vor allem wegen der Kommunikation davor. Die Folge: Bei jedem Ballkontakt wurde der Innenverteidiger brutal niedergepfiffen.
Während die VfB-Fans ihr Team feierten, rätselten die BVB-Anhänger über den seltsamen Auftritt ihrer Mannschaft, die kaum Zugriff fand, kaum in Zweikämpfe kam – irgendwie an den BVB aus der Saison 23/24 erinnerte.

Das änderte sich auch wenig bis kaum, als Coach Nuri Sahin zur Halbzeit doppelt wechselte (Bensebaini für Adeyemi und Couto für Ryerson) und das System umstellte. Stuttgart behielt die Spielkontrolle, den Großteil des Ballbesitzes und kam zu besseren Chancen.

BVB: Sebastian Kehl ist "richtig sauer"

Eine wirkliche Erklärung hatten die BVB-Verantwortlichen nach Spielende nicht parat. "Du siehst das nicht kommen. Jetzt auf die Schnelle die Erklärung zu finden – Fakt ist: Du kannst als Borussia Dortmund nicht so auftreten. Das war das erste Mal mit mir, das war eine Nichtleistung", sagte BVB-Coach Sahin hinterher. "Dem stellen wir uns jetzt. Es wird zu Recht auf uns gedroschen. Daraus müssen wir die Lehren ziehen und am Freitag die so schnell wie möglich abstellen."

Die Message dürfte auch bei den Spielern angekommen sein. Mit versteinerter Miene liefen die BVB-Stars schnurstracks und ohne Kommentar zum wartenden Mannschaftsbus. Die tiefe Enttäuschung war auch Sportdirektor Sebastian Kehl anzumerken. "Für das, was wir heute abgeliefert haben, habe ich noch keine richtige Erklärung", sagte der Ex-Profi in der Mixed Zone über die Leistung des BVB. "Das darf uns nicht passieren."

Er bemängelte eine "schlechte erste Halbzeit". "Wir haben keine Zweikämpfe geführt. Jedes direkte Duell, das wir geführt haben, haben wir verloren. Wir haben uns schlecht verhalten in diesen Duellen. Das ist nicht das Niveau, auf dem wir spielen wollen. Das war sehr schlecht", so Kehl weiter.
Der Sportdirektor sei "sehr enttäuscht" und "richtig sauer". Er gehe davon aus, dass es in der Mannschaft genauso aussehe. "Jeder Spieler sollte sauer sein über das, was wir abgeliefert haben."

Waldemar Anton sieht fehlende Basics beim BVB

Allzu oft sollte dem BVB ein solcher Auftritt nicht passieren. Die Ansprüche sind gewohnt hoch, vor allem aber höher als in der Vorsaison. An deren Ende man sich trotz Finale in der Champions League von Trainer Edin Terzic trennte. Nach einem enttäuschenden Platz fünf in der Liga will der BVB wieder weiter oben angreifen, um Titel spielen. "Wenn wir solche Leistung häufiger abliefern, werden wir mit unseren Zielen nichts zu tun haben", sagte Kehl.

Der über 90 Minuten ausgepfiffene Waldemar Anton stellte sich nach Abpfiff. "Die Basics haben heute nicht gestimmt", erklärte der Verteidiger. Er kündigte an, dass der Auftritt mannschaftsintern aufgearbeitet werden würde. "Da muss sich jeder selbst in die Verantwortung nehmen. Wir werden das klar analysieren."

Der VfB Stuttgart entwickelt sich so langsam zum Angstgegner der Westfalen. Die Niederlage am Sonntag war die vierte gegen die Schwaben in Folge. Schon in der Vorsaison führte der VfB den BVB in den Heimspielen (Liga und Pokal) vor, was massive Kritik an Ex-Coach Terzic und dessen Spielweise auslöste. Mit 1:5 hatte der BVB zuletzt 2020 verloren – gegen den VfB Stuttgart.

Kehl erklärte die Spiele gegen Stuttgart aus der Vorsaison seien "im Vorfeld ein Thema" gewesen. Wir haben es diskutiert und uns versucht, uns daran zu erinnern und ein paar Dinge besser zu machen. Davon war leider nichts zu sehen."

Duo des VfB Stuttgart brilliert

Denn in der Schlussphase legten die Gastgeber trotz eines Treffers von Guirassy noch dreimal nach. Drei Treffer, die den BVB endgültig k.o hauten und die Cannstatter Party einläuteten. Neben Undav und Mittelstädt glänzte auch Enzo Millot, der mit feinem Füßchen mehrere BVB-Verteidiger ausstanzte und das 4:1 vorbereite, zudem den Assist für den 5:1-Endstand lieferte. Das 3:0 hatte er gleich selbst erzielt. "Er ist einer unserer besten Spieler", lobte Teamkollege Undav den Franzosen. "Technisch sehr, sehr gut, ein überragender Kicker." Publikumsliebling Undav freute sich neben den Toren auch über die Stimmung: "Ich glaube, es war noch lauter als sonst. Vor allem nach meinem letzten Tor zum 5:1", sagte der Doppeltorschütze. Der Sieg sei "auch in der Höhe verdient".

Die Stimmung im Schwabenland ist nach etwa holprigem Saisonstart wieder bestens – und das nach einer einmaligen Woche. Der VfB spielte binnen sechs Tagen gegen die beiden Champions-League-Finalisten der Vorsaison. Gegen Real Madrid verkaufte sich der Vizemeister im Comeback der Königsklasse teuer (1:3), gegen den BVB folgte nun die absolute Gala in der Liga.

Die Mannschaft habe nach dem Champions-League-Spiel und den vielen Eindrücken dort "keine Verdauungsprobleme" oder einen Spannungsabfall gehabt, sagte Sportvorstand Fabian Wohlgemuth. "Sie ist sofort ins Hier und jetzt der Bundesliga gewechselt."

Dafür gibt es zwar keinen WM-Gürtel – aber neue Euphorie, die in den englischen Wochen noch wichtig werden kann. Die nächsten Schwergewichtsduelle warten schon.