Exklusiv: Matthäus hadert mit Kanes Präsenz und Körpersprache
Mit einem verdienten 2:1-Sieg der spanischen Nationalmannschaft gegen den Endspielgegner aus England endete die Fußball-EM in Deutschland am Sonntag mit einem Knalleffekt. In seiner Kolumne für sport.de erklärt Deutschlands Rekordnationalspieler Lothar Matthäus, warum Spanien das beste Team der EM war, wer für ihn am meisten enttäuschte und warum Bayern-Star Harry Kane wieder ohne Titel dasteht.
Herzlichen Glückwunsch an Spanien! Die beste Mannschaft des Turniers hat verdient den Titel geholt! Die Spanier haben auch ihre schwierigen Momente gehabt, haben aber immer wieder zu ihrem Spiel zurückgefunden - wie zum Beispiel nach dem Rückstand gegen Frankreich im Halbfinale oder dem Ausgleich gegen England im Endspiel.
Die Mannschaft hat mich von Beginn an mit ihrem gesamten Auftreten überzeugt. Sie wollten den Ball haben, haben souverän und offensiv ausgerichtet gespielt, hatten eine hohe individuelle Qualität auf allen Positionen und eine tolle Mischung.
Es hat auch einfach gut gepasst zwischen Trainer und Mannschaft. Der Trainer wusste, welche Spieler er hat und andersherum. Viele Spieler kannten Luis de la Fuente schon von seiner Nachwuchsarbeit beim spanischen Verband, da war schon ein gewisses Vertrauen da.
Dani Olmo von RB Leipzig hat uns alle ganz besonders begeistert. Er hat nicht nur die drei Tore geschossen, sondern hat auch Vorlagen gegeben und gegen England in höchster Not auf der Linie gerettet. Egal, auf welcher Position er auftauchte, war er wichtig für Spanien. Man hat nach der Verletzung von Pedri gesehen, wie wichtig es ist, so einen Spieler noch bringen zu können. Einerseits waren Olmos Leistungen toll für RB Leipzig und die Bundesliga, andererseits aber auch schlecht, weil er sich natürlich noch mehr in den Fokus großer Vereine in Europa gespielt hat.
Rodri wäre für Tuchel die ideale Holding Six gewesen
Für mich persönlich war aber Rodri der Allerbeste und ist auch völlig zu Recht zum Spieler des Turniers gewählt worden. Er hatte als Spieler im Zentrum bei den Spaniern alle Fäden in der Hand. Er war der Dirigent im Orchester, praktisch der Quarterback oder die Holding Six. Rodri wäre für Thomas Tuchel die ideale Holding Six beim FC Bayern gewesen, aber er spielt nun mal bei Pep Guardiola und Manchester City.
Er war das Hirn der Spanier, hat den Takt vorgegeben, der aber auch in die Zweikämpfe gegangen ist. Er hat keinen Spieler neben sich gebraucht, der für ihn die Drecksarbeit gemacht hat, sondern hat die Zweikämpfe selber angenommen und geführt. Das war wirklich höchste Qualität!
Bei Englands Kapitän Harry Kane hat man gemerkt, dass er nicht fit ist. Er war beim FC Bayern schon angeschlagen im Saison-Endspurt. Das hat man von Anfang an auch bei der Europameisterschaft gemerkt. Er ist nicht in Tritt gekommen und hat nicht fit gewirkt, er war einfach nicht spritzig genug. Seine Körpersprache war auch anders als in den ersten sieben, acht Monaten beim FC Bayern. Die Persönlichkeit, die wir kennen und die er sonst ausstrahlt, war nicht präsent.
Gemessen am Anspruch war die größte sportliche Enttäuschung aber jemand anderes. Kylian Mbappé hat trotz seiner Verletzung bei weitem nicht das gebracht, was wir erwartet hätten. Er war sehr beschäftigt mit seinem Wechsel zu Real Madrid. Da ist sicherlich einiges zusammengekommen, sodass er die Fans mit seiner Schnelligkeit und Torgefahr nicht so begeistern konnte, wie es sich alle erhofft hatten.
Lothar Matthäus