09.07.2024 07:04 Uhr

Matthäus: DFB-Elf hat keine starke EM gespielt

Lothar Matthäus ist bei der EM als Experte für RTL und Magenta TV im Einsatz
Lothar Matthäus ist bei der EM als Experte für RTL und Magenta TV im Einsatz

Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft hat trotz des Viertelfinal-K.o. bei der Heim-EM viel Zuspruch erfahren. Lothar Matthäus hält sich mit Lob für die DFB-Elf dagegen zurück. In seiner EM-Kolumne für sport.de zieht der Weltmeister von 1990 ein gemischtes Fazit, revidiert seine Meinung zum Elfmeter-Zoff und sagt, warum die Niederlage gegen Spanien noch Früchte tragen kann.

Deutschland hat eine starke Heim-EM gespielt, heißt es vielerorts. Ich tue mich schwer, das so zu sehen. Vielleicht waren die Erwartungen aufgrund der vergangenen Turniere nicht sehr hoch und die Leistung sieht deshalb stark aus. Ich finde aber nicht, dass ein Gastgeber wie Deutschland zufrieden sein kann, wenn er im Viertelfinale ausscheidet. Das darf nicht unser Anspruch sein!

Natürlich war es unglücklich, schon im Viertelfinale auf Spanien zu treffen und quasi ein vorweggenommenes Endspiel zu haben. Man kann sagen, die Niederlage war Pech und wir waren mit den Spaniern auf Augenhöhe. Aber ich tue mich schwer, die EM als starkes Turnier zu werten, ebenso wie 2006 mit dem "Sommermärchen". Denn ein Märchen hat eigentlich ein Happy End – und ein dritter Platz oder ein Viertelfinale kann ja kein Happy End sein.

Die Enttäuschung über das EM-Aus ist da, keine Frage, auch bei mir. Nuancen haben entschieden. Was den Schiedsrichter angeht: Mal hat man Glück wie gegen Dänemark bei Zentimeter-Entscheidungen, mal hat man Pech. Zur strittigen Handspiel-Szene: Auch ich habe vor einem Millionen-Publikum gesagt: Das ist ein klarer Elfmeter. Aber wenn man verfolgt, was der Schiedsrichter-Obmann vor dem Turnier an die Unparteiischen ausgegeben hat, muss ich mich revidieren. Dann kann man verstehen, warum Anthony Taylor nicht Elfer gegeben hat. Die Hand von Marc Cucurella hing schlaff herunter.

Fazit: Deutschland hat ein gutes Turnier gespielt. Ein starkes Turnier wäre es gewesen, wenn wir den EM-Titel geholt hätten. Die Mannschaft hatte das Potenzial für den Sieg, gerade mit der Unterstützung der Fans. Wir sind schon noch eine Fußball-Macht, auch wenn die Leistungen bis zum Viertelfinale nicht gerade überragend waren.

Woran hat das EM-Aus gelegen, was fehlt uns? Ist es der Mittelstürmer, der die Tiefe hat, der sich vorne auskennt? Kann sein. Hat Julian Nagelsmann richtig aufgestellt? Ich bin sicher, im Nachhinein würde er es anders machen. Seine Idee, obgleich sicher durchdacht, ist nicht aufgegangen.

Am Ende sind es individuelle Fehler, die den Ausschlag geben. Antonio Rüdiger steht beim zweiten Tor total falsch, das weiß er selbst. So etwas wird auch höchstem Niveau sofort bestraft.

Matthäus: Warum das EM-Aus auch etwas Gutes haben kann

Deutschland hat Spanien einen großen Kampf geliefert: Die DFB-Elf wollte in den letzten 30 Minuten der regulären Spielzeit unbedingt den Ausgleich, hat ein Power Play aufgezogen, sich Chancen erspielt. Der Ausgleich kurz vor Schluss war völlig verdient, das Unentschieden wurde erzwungen. In der Verlängerung haben wir dann meiner Meinung nach leider zu wenig gemacht, haben nicht mehr das gespielt, was wir noch in der letzten halben Stunde der zweiten Hälfte gespielt haben.

Ich weiß, wie die Spieler sich jetzt fühlen. Das sportliche Ziel ist verpasst. Ich war 1988 auch enttäuscht, als wir bei der Heim-EM im Halbfinale ausgeschieden sind, ebenfalls kurz vor Schluss gegen Holland. Manche Mannschaften ziehen aus solchen Niederlage Stärke. Bei der Nationalmannschaft war das damals so, auch beim FC Bayern nach bitteren Niederlagen im Champions-League-Finale. Warum sollen das die Nationalelf und der Bundestrainer nicht auch schaffen?

Es wird zwar einen kleinen Umbruch geben, aber der Kern der Mannschaft bleibt zusammen. Die Qualität ist da, in der Breite sind Teams wie England oder Frankreich auch nicht viel stärker, wenn ich sehe, wer bei uns auf der Bank sitzt. Julian Nagelsmann hat jetzt Zeit – mehr Zeit als vor der EM –, um die Mannschaft auf das nächste Turnier vorzubereiten. Spanien hat am Freitag eingespielter gewirkt.

Vielleicht ist es die Zeit, die Julian braucht, um die Nuancen zu verbessern, damit Deutschland die entscheidenden Spiele wieder gewinnt.

Lothar Matthäus