Murat Yakin: Der Mister, dem die Nati folgt
Diese Europameisterschaft hat schon jetzt einige Gewinner. Auf Trainerseite gehört der Schweizer Murat Yakin dazu. Der elegante Taktikmeister ist vielleicht der erste Übungsleiter der Eidgenossen mit Mister-Potenzial.
Die Schweiz hatte schon einige gute Trainer. Ottmar Hitzfeld, klar, der war ein Coach von Welt, ein Maestro, aber halt ein (wennschon schwyzerdütsch parlierender) Alemanne. Köbi Kuhn, ein allseits anerkannter und beliebter Spielerversteher, genoss in der Eidgenossenschaft ebenfalls hohes Ansehen. Und jetzt haben die Schweizer Murat Yakin.
Die Fans der Nati feierten ihren Coach bei dieser Europameisterschaft – und das immer schon vor Anpfiff. Beziehungsweise: Yakin ließ sich feiern, nutzte eine habituelle Ehrenrunde rund eine Stunde vor dem Spiel, um die Stimmung der Schweizer Anhänger hochzuhalten. Um eine Symbiose zwischen Fans, Trainer und Mannschaft herzustellen. Es gelang ihm von Spiel zu Spiel.
Die Schweiz hat einmal mehr bewiesen, zum Konzert der Großen in Europa dazuzugehören. In der Vorrunde spielte die Eidgenossen-Elf mit der deutschen Nationalmannschaft auf Augenhöhe, im Achtelfinale fiedelten sie Titelverteidiger Italien vom Rasen des Berliner Olympiastadions. Das Selbstvertrauen wuchs von Spiel zu Spiel. Auch der seltsam einfältig vor sich hin spielenden Football Superpower England lieferte die Schweiz in Düsseldorf am Samstagabend einen großen Kampf.
Am Ende verloren die Roten nach einem 1:1 über 120 Minuten nur beim Showdown vom Punkt (die Highlights gibt's oben im Video). Ein Fehlschuss von Manuel Akanji besiegelte das unglückliche Aus. "Wir sind hier ausgeschieden ohne eine Niederlage", sagte Yakin nach dem Spiel auf der Pressekonferenz sichtlich stolz und bescheinigte seiner Mannschaft eine "von A bis Z tolle Kampagne".
EM 2024: Yakin schwärmt von seinen Schweizer Spielern
In Kreis der europäischen Elite, der Weltklasse, da wo die Schweizer Skifahrer seit jeher unterwegs sind, sieht Yakin den Fußball seines Landes freilich trotz des starken Auftretens nicht. Gewiss, verstecken brauche sich die Schweiz vor keinem. Aber: "Wir haben nicht die gleichen Möglichkeiten wie diese großen Nationen. Wenn man sich den Unterschied beim Marktwert anschaut, der ist immens. Wir haben tolle Fußballer, junge Spieler, die heranwachsen, erfahrene Spieler, die die Jungen mitziehen. Wir haben uns etwas aufgebaut, wie wir als Kollektiv funktionieren", ordnete Yakin den Stand der Dinge ein.
Über die Arbeit mit seinen Mannen in den vergangenen Wochen geriet er regelrecht ins Schwärmen. "Es hat mir richtig Spaß gemacht, mit den Jungs auf dem Platz zu stehen, ihnen Ideen zu vermitteln, die sie dann auch umgesetzt haben. Es hat mir Spaß gemacht, ihnen heute zuzuschauen."
Yakin klang nicht aufgesetzt, die Freude an seinem Amt, der Stolz – es wirkte authentisch. Kein Wunder, dass Fans wie Spieler hoffen, der frühere Bundesliga-Profi möge die Nati auch zur Weltmeisterschaft 2026 in den USA, Mexiko und Kanada führen. "Wir wünschen uns klar, dass er Trainer bleibt. Er ist genau der richtige Mann für diese Mannschaft und hat uns in jedem Spiel richtig aufgestellt", lobte der trotz Muskelfaserriss heldenhaft aufspielende Kapitän Granit Xhaka seinen Chef.
Yakin, dessen Vertrag mit dem Ende der EM abgelaufen ist, hielt sich in den Katakomben der Düsseldorfer Arena bedeckt, sendete gleichwohl Signale. "Leider ist der Vertrag jetzt momentan zu Ende. Das heißt aber nicht, dass es keine Fortsetzung gibt. Ich habe immer meine Bereitschaft signalisiert", sagte er. Offerten von Klubs gebe es keine. Und: "Ich habe immer gesagt, dass die Nationalmannschaft für mich Priorität hat. Ich freue mich, wenn wir nächste, übernächste Woche die Gespräche aufnehmen."
Wichtige Aussprache mit Kapitän Granit Xhaka
Yakins Position in der Schweiz war nicht immer derart unumstritten. In der Qualifikation hatte es gehakt, die Nati rumpelte bisweilen eher Fußball, als dass sie ihn spielte wie jetzt in den deutschen EM-Stadien. Medial geriet Yakin unter Druck, zwischen Mannschaft und Trainer, zwischen Yakin und Xhaka, bildeten sich Risse. Vor allem, als der Spielmacher nach einem 2:2 gegen den Kosovo die Vorbereitung des Chefcoachs öffentlich infrage stellte.
Für die EM machte Yakin etwas, was viele Trainer in ihrer Entwicklung von guten zu sehr guten Trainern getan haben. Der Taktik-Versteher, von dem es heißt, kaum einer könne ein Spiel besser "lesen" als er, bezog die Meinungen anderer mehr in sein Wirken als "Teammanager" ein.
Mit Xhaka gab es Anfang des Jahres eine Aussprache bei einem guten Glas Rotwein. Auch seine Co-Trainer, seine "Partner", wie sie Yakin nennt, spannte er stärker ein. Der Cheftrainer rückte ab vom Alleinvertretungsanspruch als Fußball-Weiser, wandelte sich zum dirigierenden Maestro seines Rasen-Orchesters. Ein Prozess, ein Lernprozess, wie ihn einst zum Beispiel Jupp Heynckes vollzogen hat: Aus Osram wurde "Don Jupp", der Mister.
Yakin signalisiert Bereitschaft für neuen Vertrag
Diesen respektierten Mister verkörpert in der Schweiz nun Yakin. Stilistisch sowieso. Der "ehrenvoll ergraute Fußball-Lehrer" (ZDF.de) braucht keinen Anzug mit Krawatte, um elegant zu sein. Yakin strahlt natürliche Lässigkeit aus. Mit jedem Schritt, jedem Wippen, jeder Geste, jedem Fingerzeig. Der 49-Jährige steht an der Seitenline mit der unumstößlichen Souveränität eines schweizerischen Halbkantons.
Ein EM-Auftritt, ein Gesamtpaket, das Begehrlichkeiten wecken könnte. Gewisse Bundesligisten etwa haben zuletzt Ewigkeiten gebraucht, um einen passenden Übungsleiter für ihre erste Mannschaft zu finden. Der Schweizer Verband dürfte in den kommenden Wochen tun, was er kann, um Yakin einen neuen Vertrag schmackhaft zu machen. Stand jetzt spricht viel dafür, dass die Schweizer auch in zwei Jahren mit Mister Yakin auf der Weltbühne aufkreuzen und den Großen des Weltfußballs Paroli bieten.
Martin Armbruster, Düsseldorf