Boldt erklärt: Darum hat der HSV Thioune entlassen

Der Hamburger SV hat Trainer Daniel Thioune drei Spiele vor dem Ende der Saison entlassen, Klub-Ikone Horst Hrubesch übernimmt den Posten bei dem Fußball-Zweitligisten bis zum Saisonende. Nun hat HSV-Sportvorstand Jonas Boldt erklärt, wieso Thioune gehen musste.
Der HSV hat wieder einmal den Trainer gewechselt. Mit dem harten Schnitt hoffen die Hanseaten im engen Aufstiegsrennen doch noch auf eine Wende - zuletzt hatte der HSV den Anschluss an die direkten Aufstiegsplätze verloren. Die Hanseaten belegen aktuell den Relegationsplatz, Verfolger Holstein Kiel kann durch Nachholspiele aber noch vorbeiziehen.
"Zuletzt hat die Mannschaft leider oft unter Wert gespielt", sagte Hrubesch, 70 Jahre alter Europameister von 1980: "Sie verfügt über eine andere Qualität, die wir jetzt in den verbleibenden Spielen auf den Platz bringen müssen. Ich werde viele Gespräche führen, reinhören und versuchen, ein paar Akzente zu setzen." Sein Debüt feiert Hrubesch am kommenden Montag gegen den 1. FC Nürnberg, danach stehen noch die Partien gegen den VfL Osnabrück (16. Mai) und Eintracht Braunschweig (23. Mai) auf dem Programm sowie eine mögliche Relegation.
Thioune, der erst vor Saisonbeginn vom VfL Osnabrück mit einem Zweijahresvertrag an die Elbe gewechselt war, gelang dies zuletzt nicht mehr. Der HSV ist fünf Spiele ohne Sieg.
Boldt: HSV-Negativserie "nicht spurlos" an Thioune vorbeigegangenen
"Wir müssen alles daransetzen, den Mist, den wir verbockt haben, wieder geradezurücken", sagte Hrubesch, der nach der Saison wieder auf seinen Posten des Direktor Nachwuchs bei den Hamburgern zurückkehren soll. 1983 war Hrubesch Kapitän der Mannschaft, die gegen Juventus Turin den Europapokal der Landesmeister gewann.
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Der Klub habe festgestellt, "dass die Dynamik in den letzten Tagen deutlich schneller und dramatischer geworden ist", sagte Sportvorstand Jonas Boldt über den Trainerwechsel: "Wir laufen große Gefahr, von unserem Weg abzukommen. Das wollen wir nicht und das werden wir nicht."
Die Negativserie zuletzt sei "nicht spurlos" an Thioune vorbeigegangen, sagte Boldt, der von Hrubesch erwartet, "einfach er selbst zu sein".
sport.de hat die Pressekonferenz des HSV im Live-Ticker begleitet. Hier sind die wichtigsten Aussagen:
+++ Hätten Sie aus Vereinssicht früher handeln müssen? +++
Boldt: "Wenn man so denkt, hätten wir vielleicht schon in der Hinrunde reagieren müssen, wo wir zwei Spiele in Folge nicht gewonnen haben. Hätte man früher, könnte man früher ... Wir wollten zeigen, dass wir etwas entwickeln wollen. Wir haben nach Hannover schon gemerkt, dass sich der Trainer und die Spieler geärgert haben, aber dann gab es noch mehr Dynamik und die Ergebnisse in den Wochen darauf haben nicht mehr gepasst. Hätten wir das nur an Hannover festgemacht und hätten nach dem 3:3 den Trainer gewechselt, hätte es geheißen, der HSV wird hektisch. Das waren wir damals nicht und sind wir auch jetzt nicht."
+++ Bleibt der direkte Aufstieg das Ziel? +++
Boldt: "Unser Wunsch und unsere Ambition ist ungebrochen. Wir wissen, dass es schwer wird. Aber wir werden alles dafür tun und angreifen. Genau das ist es auch, was Horst versprüht."
+++ Warum ist Hrubesch nicht bei der PK? +++
Boldt: "Seine Stärke ist als Cheftrainer unten in der Kabine und nicht vor der Presse. Das ist genau der richtige Weg und das richtige Zeichen."
+++ Wann gibt es Gespräche mit einem neuen Coach für 21/22? +++
Boldt: "Wir haben selbstverständlich noch keine Gespräche mit neuen Trainern geführt. Wir werden jetzt in uns gehen und schauen, was das Profil sein wird. Wir werden uns aber vorerst nicht zu Gerüchten äußern."
+++ Seit wann wusste Hrubesch Bescheid, dass er Trainer werden könnte? +++
Boldt: "Seit gestern, Sonntag. Die Beziehung von mir und Horst ist sehr von Respekt geprägt. Er hat sich Gedanken gemacht, es gab eine Übereinstimmung via Blickkontakt. Aber weitere Spekulationen stimmen nicht."
+++ Wie wurde die Mannschaft informiert? Wie war die Reaktion? +++
Boldt: "Wir haben die Mannschaft heute morgen informiert. Per Anruf an den Mannschaftsrat und per Grundnachricht. Eine spezielle Reaktion gab es nicht. Um 15 Uhr ist Training, da werde ich selbst in die Kabine gehen und ein paar Worte sagen. Daniel wird sich parallel zur PK von der Mannschaft verabschieden. Das war sein Wunsch."
Zusatz vom Pressesprecher: "Aufgrund der Coronavorgaben müssen die Spieler erst getestet werden und konnten heute nicht spontan für die Mitteilung der Entlassung zusammenkommen."
+++ War der Knackpunkt in der Beziehung Team/Trainer das Verhältnis zwischen Bobby Wood und Daniel Thioune?
Boldt: "Das glaube ich nicht. Daniel war sicher nicht derjenige, der immer jeden Spieler gepampert und in den Arm genommen hat. Aber das ist nicht der entscheidende Punkt gewesen."
+++ Boldt erneut über das Aus von Thioune +++
"Daniel hat proaktiv keine Signale gesendet, dass er nicht mehr bereit ist. Man hat aber gemerkt, dass die Situation mit ihm etwas gemacht hat. Es sind nach Freitag ein paar Tage und ein paar Stunden vergangen, in denen ich sachlich die Spiele der letzten Wochen bewertet habe. Und dabei ist herausgekommen, dass das Team einen anderen Impuls braucht, den Daniel nicht mehr geben kann."
+++ Hat Thioune gesagt, ich habe nicht mehr die Power? Hat die Mannschaft den Wunsch zum Wechsel geäußert? +++
"Nein. Daniel Thiounue ist der Letzte, der von sich aus aufgeben würde. Er ist ein Kämpfer. Die Mannschaft ist auch nicht auf mich zugekommen. Es ist eine Aneinanderkettung von Dingen gewesen. Es gab nicht den einen Moment, der etwas kaputt gemacht hat."
+++ Boldt über die Entlassungen der letzten Jahre +++
"In der vergangenen Saison war es der Start der Coronaphase, wo wir durch Rückschläge in der Nachspielzeit die Punkte nicht eingefahren haben. In dieser Saison hatten wir mehrere Phasen. Vielleicht haben wir auch ein Stück überdreht in einigen Phasen. Man kann das nicht zu 100 Prozent vergleichen. Ich kann verstehen, dass diese Vergleiche existieren. Ich bin in den Jahren zuvor nicht dabei gewesen, ich habe nur mitbekommen, dass Trainerwechsel sehr schnell vollzogen wurden. Das ist jetzt aber nicht so. Durch die Spiele der letzten Wochen ist sehr viel bei Daniel Thioune passiert. Da hat man gemerkt, dass diese klare Führung bei ihm auf der Strecke geblieben. Man spürt das bei Menschen. Und da ist es meine Aufgabe, zu reagieren. Mit Horst Hrubesch bringen wir nun Klarheit hinein. Für die Zukunft braucht es dann wieder einen Trainer, der den Weg mitgehen will, aber auch den Anspruch hat, eine gewisse Resistenz zu haben."
+++ Was ist am Wochenende passiert, dass der Weg des HSV doch wieder nur das Entlassen des Trainer ist? +++
Boldt: "Die Negativspirale in den letzten Spielen, in der Vergangenheit, die scheint etwas mit Menschen zu machen. Es sind Dinge passiert, bei denen das Momentum nicht dazu beigetragen hat, dass es erfolgreich wurde. Ich habe Verständnis dafür, wenn Menschen draußen denken, dass es wieder typisch HSV ist. Aber: Ich möchte auch nicht etwas durchziehen, das augenscheinlich nicht funktioniert. Es gab eine große Leere und Enttäuschung in der Kabine, nicht nur bei den Spielern, sondern auch bei ihm. Da war die Gefahr, dass die Saison einfach so austrudelt. Man hatte das Gefühl, dass Daniel Thioune in den letzten Wochen etwas von unserem, von seinem Weg abgekommen ist. Daher mussten wir es jetzt beenden."
+++ Ist die Relegation das Ziel? +++
Boldt: "Das ist keine klare Zielvorgabe. Wir wollen erst einmal die drei Spiele, die wir noch haben, erfolgreich bestreiten. Vielleicht sind ja nur drei notwendig."
+++ Was kann Horst Hrubesch noch tun? +++
Boldt: "Er soll er selbst sein. Die Klarheit zu haben, die Lockerheit zu haben. Ich würde das nicht nur auf drei Spiele begrenzen, sondern auch auf mögliche fünf. Er schafft das, durch seine positive Art, nicht viel nachzudenken, sondern einfach zu machen. Das ist das, was wir brauchen."
+++ Wie sehr musste Horst Hrubesch überzeugt werden? +++
Boldt: "Eigentlich gar nicht. Wir hatten eine klare Absprache, als er damals als Nachwuchschef zurückkam, dass er seine Trainerkarriere beendet hat. Er hat sich bereit erklärt, Daniel immer zu unterstützen. Das Trainer-Thema war für ihn eigentlich nichts mehr, auch wenn mir das nicht alle glauben werden. Irgendwann gab es den Blickkontakt und dann wusste ich, dass er sich darüber Gedanken machen würde. Beim letzten Telefonat wusste er, dass die Frage kommt. Und er nimmt die Verantwortung an. Ganz klar kommuniziert nur bis zum Saisonende."
+++ Was ist konkret passiert, dass der Wechsel jetzt und nicht erst vor 14 Tagen vorgenommen wurde? +++
Boldt: "Wir haben Daniel Thioune verpflichtet, weil wir einen Trainer gesehen haben, der den Weg der Entwicklung vieler Spieler mitgehen wollte und sich auch selbst entwickeln möchte. Wir wurden zwischenzeitlich für eine große Resistenz gefeiert, wir haben gute Lösungsmöglichkeiten gefunden, viele Tore geschossen, haben auch gerade gegen die Top-Teams hart gearbeitet. Das hat viele Anpassungen benötigt, daher gab es auch keine Zweifel, wenn mal eine Durstwelle anstand. In den letzten Wochen - ich fange mal beim Hannover-Spiel an, wo wir 3:0 führen und am Ende noch Unentschieden spielen - hat sich etwas geändert. Da kamen einige Dinge zusammen. In einer Phase, die immer heißer wird in Richtung Saisonfinale. Wir haben gesehen, dass sich alle dagegen wehren, auch wenn es nicht immer so aussah. Die Beziehung zwischen Trainer und Mannschaft wackelte. Das Team hat aber den Willen gezeigt, wieder den Erfolg zu haben. Es gab eine Dynamik, die auch im Trainer etwas macht, der alles versucht hat. Man hat zuletzt gemerkt, wie angeknockt er ist. Die Beziehung zwischen ihm und den Spielern war zuletzt nicht mehr so gut. Deswegen mussten wir nun reagieren. Wir wollten die Saison nicht einfach so ausklingen lassen. Wir werden alles tun, die Lockerheit und den Spaß zurückzubringen."
+++ Bolds Statement zur Thioune-Entlassung +++
"Ich möchte die Gelegenheit nutzen, mich bei Daniel Thioune für die vertrauensvolle Zusammenarbeit bedanken. Es ist sehr, sehr schade und kein Geheimnis, dass ich nach wie vor sehr, sehr viel in ihm sehe. Die Dynamik ist aber in den letzten Tagen stärker geworden. Wir wollen nicht von unserem Weg abkommen. Daher mussten wir eine Justierung vornehmen. Es gab leider keine andere Möglichkeit."
+++ Boldt hat auf dem Podium Platz genommen +++
Die PK kann beginnen!